Voller Begeisterung überprüfte Benjamin immer wieder die Instrumente. Als die Scheibe der Nase schliesslich wieder nach oben gefahren wurde und der Autopilot übernommen hatte, nahm auch Viper seine Hände vom Steuer und schien sich zu entspannen.
Keines Wegs entspannt waren jedoch die Anzeigen. Die stiegen einfach immer weiter. Die Nachbrenner waren aktiviert, dennoch stieg die Geschwindigkeit weiter. Bei etwas mehr als 30.000 Fuss überschritt diese Kiste sogar dir dreifache Schallgeschwindigkeit und ein Ende schien nicht in Sicht.
Als schliesslich die angestrebten 69.000 Fuss erreicht waren, senkte die Maschine ganz sanft die Nase so weit, bis die Steiggeschwindigkeit bei null war, woraufhin die Geschwindigkeit noch etwas schneller stieg und bereits über der vierfachen Schallgeschwindigkeit lag. Viper verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Bevor die fragst Kleiner, nein. Der Anblick wird nie langweilig!«
Erst da schaute Benjamin von den Instrumenten auf und nach draussen. Er war sofort von dem Anblick in den Bann gezogen. Da war die Erde, samt Erdkrümmung und obwohl eigentlich Tag war, war der Himmel schwarz. Das sah unglaublich aus.
»Und Jana? So hoch kommt oder Hubi nicht!«
Jana, die ebenfalls nach draussen schaute, gab Mario Antwort, ohne ihn anzuschauen.
»Stimmt. Dafür kann das Ding hier nicht senkrecht starten, oder in der Luft stehenbleiben.«
»Noch nicht!«
Entgegnete Mario ganz cool. Nun drehte sich Jana doch zu ihm um.
»Was soll das heissen?«
Dieses Mal war es Mario, der sie keines Blickes würdigte.
»Ganz einfach. Aisha und ich haben ein Konzept ausgearbeitet, wodurch die Lade sehr wohl auch in der Lage sein wird, senkrecht zu starten und zu landen, wie auch in der Luft stehenzubleiben.«
Jana verschränkte die Arme.
»Na da bin ich gespannt! Der Vogel hat im Bereich der Nase nichts, wo man einen Antrieb einbauen könnte. Überall dort, wo es möglich wäre, bist du viel zu weit hinter dem Schwerpunkt. Was willst du machen? Raketen an die Nase schrauben?«
Viper verfolgte das Gespräch mit grossen Interesse, blieb aber äusserlich total unbeeindruckt.
»Sagen wir mal so. Ja, ein Antrieb in der Nähe des Bugs ist dabei tatsächlich vorgesehen. Aber keine Raketen. Wir hatten bisher nur das Problem, dass wir keinen Motor dafür finden konnten, der unser Vorhaben in die Tat hätte umsetzen können. Strahltriebwerke brauchen viel zu lange, bis sie hochgefahren sind und wären, um die Masse in die Luft zu bekommen, am Ende auch viel zu grossen und würden viel zu viel Treibstoff verbrauchen. Für Otto-, oder Dieselmotoren müssten wir extra Tanks einbauen, dafür haben wir aber nicht den Platz.«
Benjamin wusste genau, worauf Mario hinaus wollte und sprang deshalb euphorisch dazwischen.
»Aber Elektromotoren können das und mit meinem Generator hättest du auch die notwendige Power!«
»Richtig Ben! Wir haben alles schon bis ins Detail ausgearbeitet. Sind bislang aber daran gescheitert, dass wir keinen entsprechenden Energiespeicher finden konnten. Starten und landen wäre zwar theoretisch mit dem, was es bislang gibt, möglich, aber die Einsatzdauer wäre sehr gering. Jeder Start und jede Landung müssten beim ersten versuch klappen und an längeres schweben wäre überhaupt nicht zu denken. Aber wenn der Generator funktioniert, dann ist das alles kein Problem mehr. Dann sieht euer Hubi alt aus.«
»Wie soll ich mir das vorstellen? Wollt ihr aus unserer Lady einen Quadcopter machen?«
»Ganz genau Viper!«
»Also da lege ich sofort mein Veto ein! Das sieht doch scheisse aus und die Aerodynamik ist danach vollkommen im Arsch!«
»Also manchmal erschreckt es mich, wie wenig Vertrauen du zu uns hast. Natürlich werden die Antriebe ein- und ausfahrbar sein. So das sie nur dann zum Vorschein kommen, wenn man sie auch braucht. Wir wollen der Lady diese Fähigkeit geben und nicht sie darauf beschränken.«
Jana, die anscheinend schockiert von dieser Aussage war, musste dringend mehr Informationen haben.
»Du sagst also, wenn der Generator so funktioniert, wie unser Frischling das haben will, dann ist dieses Ding hier nicht nur extrem schnell, kann super hoch steigen, sondern kann auch noch überall starten, landen und schweben? Theoretisch dann unbegrenzt?«
»Ganz genau! Mit anderen Worten, der Vogel wird um einiges leistungsfähiger sein, als euer Hubi. Neidisch?«
Jana war keines Wegs neidisch. In ihrem Kopf formierte sich schon ein Plan. Natürlich würde sie ihren Hubschrauber für kein Geld der Welt gegen so eine Maschine eintauschen, dafür war er einfach zu gut und zu kampferprobt. Ausserdem bot so ein gewaltiges Flugzeug auch ein entsprechend grosses Ziel und konnte im Schwebeflug niemals die Wendigkeit und Beschleunigung erreichen, wie in seinem konventionellen Einsatz. Aber, es wäre eine unglaublich gute Plattform für alle möglichen Arten von Sensoren, die auch noch von einem ganzen Team ausgewertet werden konnten. Ausserdem würde sich damit ihr derzeitiges Problem mit den Unterkünften beheben lassen. Bislang baute ihr Team ja immer in sicherer Distanz einen Stützpunkt auf. Das hiess aber auch, vor und nach jedem Einsatz mussten sie erst dorthin fliegen. Mit so einer Maschine hätten sie die Möglichkeit, nicht nur direkt vor Ort ein Labor zur Verfügung zu haben, sondern auch Unterkünfte.
Sie wusste also genau, was sie haben wollte und auch, wie sie es erreichen konnte. Wenn Mario diesen Vogel wirklich zu einem Quadcopter umbauen würde, dann würden sie einfach eine dieser Maschinen kaufen. Das war nicht schwer, die gab es ja am Markt. Sie würden den Antrieb austauschen, diese zusätzlichen Motoren anbringen und dann den Innenraum zum mobilen Stützpunkt mit allerlei Sensoren ausbauen. Ja, genau das würde sie tun.
»Das glaube ich alles erst, wenn ich es in Aktion sehe!«
»Wirst du Jana, da gebe ich dir mein Wort drauf!«
Nachdem Mario gesprochen hatte, schaute Benjamin wieder auf die Anzeigen. Über die fünffache Schallgeschwindigkeit war die Anzeige mittlerweile geklettert und schien ihr Maximum erreicht zu haben. Unglaublich. Diese Geschwindigkeit und das ohne Nachbrenner. Was war das nur für ein Flugzeug?
»Viper sag doch mal, warum funkst du eigentlich nie? Normalerweise müssen doch unzählige Funksprüche abgegeben werden, für den Start, den Flug und so.«
»Warum sollte ich? Sieht uns doch eh keiner. Ausserdem fliegen wir viel zu hoch. Hier oben gibt es kein Verkehr. Schlussendlich, unser Radar ist so stark, wir können problemlos allem ausweichen, was uns eventuell zu nahe kommen könnte.«
»Was soll das heissen, uns sieht keiner?«
Hier antwortete Mario.
»Aisha hat für die Kiste ein spezielles Anti-Radar-System entwickelt. Niemand sieht uns!«
»Erzähl mir doch keine Märchen! Ich kenne Tarnkappenflugzeuge und die sind alle irgendwie komisch eckig und sehen meistens voll verbaut aus. Ausserdem haben die nie irgendwelche rechten Winkel. Alleine unser Seitenleitwerk müsste doch auf jedem Radar auftauchen.«
»Ben. Mal ganz ehrlich. Beim Militär gibt es Ausschreibungen und die müssen auch noch möglichst günstig zu erfüllen sein. Ist doch klar, dass da so ein komisches Zeug bei rauskommt. Aisha konnte aber Unsummen verballern. Das funktioniert völlig elektronisch und absorbiert 100 Prozent aller ankommenden Radarstrahlen. Egal aus welcher Richtung, egal bei welcher Fluglage, egal bei welcher Bauform. Wir schlucken alles.«
»Das heisst, es weiss überhaupt niemand, dass wir in der Luft sind?«
»Blitzmerker. Deshalb muss Viper auch nicht funken.«
»Okay, aber warum? Wir machen ja nichts illegales!«
Nun drehte sich Viper um.
»Ach nein? Laut unseren Angaben haben wir eine der Standardmaschinen gekauft, nachdem wir mit der erbeuteten Maschine abgeschmiert sind. Standard schaffen die Dinger aber gerade einmal Mach fünf, haben keine Schubvektorsteuerung usw. Was soll ich denn der Luftüberwachung erzählen, das wir mit Mach fünf in der Gegend herumfliegen? Da machen wir doch lieber so, als wären wir gar nicht da.«
»Also weiss gar keiner, dass dieses Ding existiert?«
»Nö. Ausser uns nicht. Das soll auch so bleiben.«
Mario lachte.
»Genau. Oder was glaubst du, wie wir so viel modifizieren können? Das würde doch niemand abnehmen!«