Was niemand bis dahin wissen konnte, von Pascal vielleicht mal abgesehen, waren die Nächte von Waldemar. Klar, er lag wie gewohnt regungslos in seinem Bett, hatte die Augen geschlossen und einen Atemrhythmus, nachdem man eine Atomuhr hätte stellen können, doch in seinem Kopf sah es ganz anders aus.
Schon seit den ersten Rennen, bei denen auch ein Matteo anwesend war, lief in seinem Kopf jede Nacht das gleiche Programm ab. Da war ein Raum. Ein leerer Raum. Er war komplett schwarz, so dass man nicht ermitteln konnte, ob es nun wirklich ein Raum mit Wänden und Decke war, oder ob da einfach nichts war. In diesem Raum, oder an diesem Ort, befand sich ein weisser, teilweise spiegelnder, runder Boden. Auf dem standen zwei Sessel, oder Stühle, oder Liegen. Ja, was genau es war, konnte man nicht sagen. Die Objekte schienen sich bei Bedarf verändern zu können. Ausserdem standen sie sich direkt gegeneinander. Mehr war da nicht.
Zum Beginn des Traums standen Waldemar und Matteo jeweils neben einem dieser Sitzgelegenheiten und hatten eine Hand auf der Rückenlehne. Dann gingen sich, als wären es Spiegelbilder, um den Sitz herum und nahmen schliesslich darauf Platz.
Auch in dieser Nacht war es so und als Beide eine bequeme Position eingenommen hatten, ging das Gespräch wie gewohnt los. Bequem war in diesem Fall, Waldemar sass auf seinem Sitzmöbel, als hätte man ihn darauf gepfählt. Durchgedrücktes Kreuz mit den Händen auf seinen Beinen. Matteo hingegen lümmelte sich in seinen Sitz, schlug hier und da die Beine übereinander, verschränkte ein Bein unter sich, oder was ihm sonst gerade bequem erschien.
»Matteo, ich würde es begrüssen, wenn du nicht weiter versuchen würdest, meine Arbeiten zum Garzella auszuspionieren.«
»Du merkst das?«
»Aber selbstverständlich merke ich das! Ich merke, sehe, höre und fühle alles was du tust!«
Matteo wirkte erschrocken.
»Seit wann? Ich dachte eigentlich, wenn ich die Kontrolle habe, kannst du dich an nichts mehr erinnern?«
»Zugegeben, mir gelingt es noch nicht lange und eigentlich auch erst, seit ich dir meine Fortschritte am Garzella verwehre. Anscheinend habe ich damit einen nur für mich zugänglichen Teil des Gehirns geschaffen. Offensichtlich habe ich von Anfang an alles mitbekommen, was du getan hast. Da ich aber auf deine Erinnerungen nicht zugreifen kann und diese nach dem Wechsel in deinem Bereich verschwunden sind, waren sie für mich verloren.«
»Und du hast jetzt auch einen geschützten Bereich geschaffen und deshalb bleiben die Erinnerungen erhalten?«
»Korrekt analysiert.«
»Und wie weit geht das? Weisst du, an was ich arbeite?«
»Nein. Ich weiss zwar was passiert ist, doch kann ich mich hinterher nur an so etwas wie eine Zusammenfassung erinnern. Quasi der Klappentext in einem Buch.«
Matteo rieb sich das Kinn.
»Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. War ich anfänglich noch komplett dazu in der Lage, mich an alles was du tust zu erinnern, scheint es mir mittlerweile auch eher wie eine grobe Zusammenfassung. Ich scheine an Kraft verloren zu haben.«
»Darüber habe ich mir bereits Gedanken gemacht. Es scheint jedoch weniger Kraftverlust von dir, als viel mehr eine Kraftsteigerung von mir zu sein. Anfangs war ich dir in allen Punkten unterlegen, solange deine Hormone einen gewissen Level erreicht hatten. Mittlerweile merke ich bei einem Wechsel, dass ich dich durchaus daran hindern könnte. Der Grund dafür dürfte bei Maia zu finden sein. Sie sorgt mittlerweile in einem für mich erschreckenden Mass dafür, dass du befriedigt wirst. Ein Hormondruck, wie zu Beginn deines Auftauchens, kann also gar nicht mehr entstehen.«
Matteo schien kurz nachdenklich.
»Damit könntest du Recht haben. Ich habe auch nicht mehr so dieses dramatische Bedürfnis, alles ficken zu wollen. Was ich mit Maia habe, ist für mich wirklich erfüllend.«
»Dann muss ich wenigstens keine weiteren Schändungen meines Körpers mehr erdulden.«
Matteo lachte.
»Aber sag doch mal. Wie kommst du denn mit unserer Vereinbarung mittlerweile zurecht?«
»Um der Wahrheit die Ehre zu geben, du wüsstest ja ohnehin wenn ich lüge, ich komme überraschend gut damit zurecht. Auch wenn ich es vorher sehr gut unter Kontrolle hatte, diese unsinnigen Hormone haben mich schon hin und wieder etwas ausgebremst. Das empfinde ich mittlerweile als deutlich angenehmer. Ausserdem kann ich oft, während du die Kontrolle hast, über verschiedene Dinge ungestört nachdenken. Das war mir vorher nicht immer möglich, da ja immer wieder jemand etwas von mir wollte. Ausserdem muss ich sagen, hin und wieder bringe ich meiner Elena offensichtlich wirklich schöne Momente, wenn ich mich an deinen Erfahrungen bediene. Dadurch scheine ich sie noch etwas glücklicher zu machen.«
»Was soll das heissen, du bedienst dich meiner Erfahrungen?«
»Das tust du dich auch! Wenn du etwas berechnest, oder einen logischen Ablaufplan ermittelst, greifst du auch auf meine Erfahrungen zurück. Oder hast du das irgendwann erlernt?«
»Ach, so war das gemeint. Ich dachte du spannst, wenn ich Maia ficke.«
»Tatsächlich versuche ich mich in dieser Zeit mit anderen Dingen zu beschäftigen und ich muss sagen, es ist angenehm, mich im Nachhinein nur noch schemenhaft daran zu erinnern.«
»Willst du mich eigentlich immer noch loswerden?«
»Auch darüber habe ich mit Gedanken gemacht. Nach der Analyse der kompletten Zeit kann ich nicht anders als zu dem Schluss kommen, wir werden die Zukunft zusammen in diesem Körper verbringen. Ich sehe tatsächlich keine Möglichkeit, wie ich dich entfernen könnte. Zumal ja mittlerweile nicht nur wir davon betroffen sind. Die Frage, ob ich dich loswerden will, kann ich mittlerweile sogar mit nein beantworten. Wie ich dir ja schon sagte, die Zeit, in der ich nicht die Kontrolle habe, kann ich wunderbar für mich nutzen. Du hilfst mir, für Elena ein besserer Partner zu sein. Alles in allem muss ich deshalb zugeben, unsere Vereinbarung hat eine Vielzahl an Vorteile für mich. Weit mehr als Nachteile.«
Matteo beugte sich vor.
»Und was für Nachteile?«
»Wie ich bereits sagte. Die sexuellen Handlungen, die du mit Maia vollziehst, halte ich nach wie vor für sehr schmutzig und der Gedanke, dass alles mit meinem Körper passiert, gefällt mir ebenfalls nicht. Zudem muss ich bemerken, durch deine Arbeit an dem Auto bekomme ich Schwielen an die Hände. Das finde ich ebenfalls nicht sonderlich angenehm und es wundert mich auch, dass es noch keinem aufgefallen ist. Dann bewegst du auch für mich eigentlich unzumutbare Lasen. So habe ich gelegentlich Kreuz und Muskelschmerzen.«
Matteo grinste.
»Sie sind nicht nur vom schweren heben!«
Waldemar schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist mir durchaus bewusst und ich habe es absichtlich ignoriert. Dennoch, diese ganzen Nachteile sind nichts im Vergleich zu den Vorteilen. Von daher, solange es so bleibt, werde ich an unserer Abmachung nichts ändern wollen.«
Matteo lächelte zufrieden.
»Das freut mich sehr. Können wir uns damals als Freunde betrachten?«
»Nun, wir sind zumindest keine Feinde.«
»Okay, ist ein Anfang.«
»Gut. Nun habe ich aber auch eine Frage an dich. Du baust dieses Auto sicherlich nicht für Maia. So wie ich es sehe, willst du als mysteriöser Unbekannter antreten und Pascal als Deckung benutzen. Korrekt?«
»Korrekt!«
»Dann bitte ich dich etwas zu bedenken. Wenn du an Rennen teilnimmst, spielst du nicht nur mit deiner Gesundheit! Es ist genauso mein Körper und ich wünsche nicht, dass der verletzt wird! Ganz zu schweigen davon, dass automatisch sowohl du, wie auch ich die gleiche Verletzung hätten und damit wäre unser Spiel aufgeflogen.«
Matteo lehnte sich wieder zurück.
»Ich werde nicht verletzt!«
»Und was macht dich da so sicher?«
»Dein Kopf! Deine Fähigkeit blitzschnell Situationen erkennen, analysieren und darauf reagieren zu können. Zudem sorgt dein Gehör dafür, dass ich jegliches Problem schon höre und ermitteln kann, bevor es wirklich zu einem Problem wird. Schlussendlich will ich ohnehin nur an den Viertelmeilen-Rennen teilnehmen.«
»Eine gute Erklärung. Damit kann ich mich anfreunden. Doch eine bitte habe ich. Schwängere nicht Maia!«
Matteo lachte.
»Ich würde gerne, aber da passiert garantiert nichts!«