Ein ungeahntes Wochenende (Teil 22)

Zum guten Schluss kamen die Sanitäter zurück zum Start, die beiden Rennfahrer auf den Tragen. Einer der Sanitäter positionierte sich vor dem Publikum, Waldemar aktivierte eines der Richtmikrofone, so dass der Kerl auch über die Lautsprecher gut zu hören war.

Voller Bedauern gab er an, dass leider für beide Fahrer jede Hilfe zu spät gekommen wäre. Viper und Perry schauten sich dabei ungläubig an und beide hoben widersprechend einen Arm. Davon liess der Sanitäter sich jedoch nicht beeindrucken. Die Verletzungen seien zu schwer gewesen. Währenddessen drückten die anderen Sanitäter die ausgestreckten Arme von Perry und Viper wieder runter.

Der Sanitäter fing an, irgendwelche Fachbegriffe aneinander zu reihen. Man musste jedoch nicht zum Fach gehören um zu wissen, dass diese ganzen Ausdrücke total fehl am Platz waren. Es trug jedoch hervorragend zur Show bei.

Da Viper und Perry mittlerweile an die Tragen geschnallt worden waren, konnten sie kein Zeichen mehr geben, dass sie eigentlich gesund waren. Perry versuchte es Verbal.

»Hallo? Mir geht es gut! Nichts passiert!«

Der Sanitäter wusste zu kontern.

»Leider ist es so, dass manche Verletzungen des Gehirns sich nur auf den bewussten Teil konzentrieren und das Unterbewusstsein noch eine ganze Zeit autonom weiter arbeitet. Wie in diesem Fall. Eigentlich schon verschieden, denk der noch funktionierende Teil, ihm würde es gut gehen!«

»Mir geht es auch gut! Mach mich los, ich möchte etwas spazieren gehen!«

Damit bekundete auch Viper, dass die Diagnose falsch war. Der Sanitäter liess sich nicht beirren.

»Es ist immer wieder sehr traurig zu sehen, wie zwei Menschen in der Blüte ihres Lebens einfach so dahinscheiden und wenn sie dann noch denken, sie seien eigentlich noch gesund, ist das gerade für die Hinterbliebenen doppelt dramatisch.«

»Hey! Ich bin mit vielleicht zehn Sachen gegen eine Absperrung gedonnert. So viel kann ich gar nicht abbekommen haben!«

Nun wurde es dem Sanitäter zu Bunt.

»Meine Kollegen, könntet ihr da nicht ein wenig aktive Sterbehilfe leisten?«

Das schien kein Problem. Die Sanitäter schnappen sich ihre Defibrillatoren, riefen einmal kurz »Und weg!« und drückten ab. Perry und Viper bäumten sich einmal auf, dann erschlafften ihre Körper.

Da das Publikum lachte war klar, jeder wusste genau, dass alles nur Show war und die war definitiv gelungen.

»Na endlich geben die Ruhe. Okay. So bedauerlich das Ableben unserer Freunde auch ist, ihr Opfer wird nicht umsonst gewesen sein! Die noch intakten Organe werden an die Ortsansässige Tierklinik übergeben, wo sie dann Schweinen und Kühen eingepflanzt werden können. Besonders die Augen von Viper haben viel Geld geb … Werden mit Sicherheit eine gute Verwendung bringen!«

Es wurde noch ein paar Mal herzlich gelacht, dann machten sich die Sanitäter inklusive der Verstorbenen zum Hof. Damit ging auch dieser Renntag zu Ende und langsam begann sich der Parkplatz zu leeren. Als Viper und Perry schliesslich wieder zu den Anderen kamen, schaute besonders Katja recht überrascht.

»Ich dachte, du bist tot?«

»War nur eine Fleischwunde!«

Katja schüttelte den Kopf.

»Super. Muss ich jetzt echt jedes einzelne Profil wieder von Witwe auf Ehefrau umstellen? Weisst du, wie viele Anfragen ich seither hatte?«

»Ähm …«

Fing Perry an, da stürzte Katja aber schon an ihn.

»Als ob ich so schnell mein Profil ändern würde. Ausserdem ist mir durchaus klar, da muss ich schon mehr anstellen, um die ums Eck zu bringen!«

»Bitte?«

»Ruhe jetzt! Lass uns hier noch aufräumen und schauen, dass wir ins Bett kommen.«

»Juckt die Muschi?«

Feixte Perry.

»Aber so was von! Hatte nur einen Kerl, langsam wird es Zeit!«

Es wurde schon hell, als der Platz wieder entsprechend aufgeräumt und alle in ihrer Wochenendbehausung waren. Wie gewohnt wurde noch gefeiert und die Stimmung war ausgelassen und hervorragend wie immer. Bis auf die von Mario. Der hatte nicht nur den Auftritt seines Luigis verpasst, sondern auch das irrwitzige Rennen von Perry und Viper. Waldemar interessierte sich doch als Einziger wirklich dafür, dass Mario mehr grübelnd da sass, als an der Party teilzunehmen. Also setzte er sich zu ihm.

»Mein Freund, in aller Regel interessiert es mich nicht, wenn irgendwer schwermütig nachdenkt. Da ich dich als Freund jedoch sehr schätze würde mich nun doch interessieren, was bei dir los ist.«

»Waldi, wie gut kennst du dich mit KI aus?«

»Nun, die grundlegenden Techniken sind mir bewusst. Jedoch praktisch habe ich noch keine nennenswerte Erfahrung damit gemacht. Warum fragst du?«

»Könntest du dir vorstellen, dass eine KI unbeabsichtigt einen eigenen Willen entwickelt?«

»Welch philosophische Frage! Hier wäre zuerst zu klären, was ein eigener Wille überhaupt ist! Es gibt viele Ansätze, die in einem eigenen Willen lediglich die Summe der antrainierten Erfahrungen widerspiegelt. Andere Ansätze bringen den eigenen Willen mit einem eigenen Bewusstsein zusammen. So einfach lässt sich deine Frage also nicht beantworten.«

»Glaubst du, dass eine KI einen eigenen Willen erlernen könnte?«

»Nach meinem Kenntnisstand ist es sicherlich nicht unmöglich. Doch ist eine KI genau genommen dumm. Eine KI zur Objekterkennung wird nie mehr können, als Objekte zu erkennen. Da sie vom Programm her nie etwas anderes tun wird. Wenn überhaupt, dann müsste es eine KI sein, die grundlegend alles lernen kann.«

»Ja, genau. Eine KI die ohne spezifisches Ziel programmiert wurde. Die alles, was sie kann, selbst erlernt hat. Ohne ein Programmcode dahinter.«

»Das meine ich. In meinen Augen wäre das eine Voraussetzung.«

»Meine KI ist so. Ich habe ein grosses, neuronales Netz erschaffen. Eigentlich mehrere sogar. Ein paar davon sind spezialisiert. Wie du eben sagst, auf Objekterkennung. Oder auch Spracherkennung. Aber die werden alle von einer Art Hirnstamm kontrolliert, der keine vorgegebene Programmierung hat. Am Anfang konnte der Lion überhaupt nichts, auch wenn die Objekterkennung, Motorsteuerung und das alles bereits drin war. Ich musste ihm alles wirklich wie einem Kind beibringen.«

»Nun, mein lieber Freund, mit wachsender Erfahrung dürfte sich auch etwas wie ein Wille entwickeln. Vier wäre das Vanille-Schokolade-Problem anwendbar.«

»Das was?«

»Das Vanille-Schokolade-Problem. Nehmen wir einen Menschen. Er bekommt Eis vorgesetzt. Einmal Vanille, einmal Schokolade. Subjektiv betrachtet, hat keines der beiden Sorten einen Vorteil. Der Unterschied liegt rein im Geschmack. Ein Mensch wird deshalb aufgrund des Geschmacks entscheiden, was er haben will. Stellt man aber nun eine KI vor die Wahl und sagt, sie muss sich zwischen einem der beiden Sorten entscheiden, hat sie ein Problem. Ohne Geschmackssinn wird sie keine Möglichkeit haben, eine Sorte zu bevorzugen. Es ist aber klar, von ihr wird eine Entscheidung verlangt. Sagen wir, sie entscheidet sich wirklich rein durch Zufall für Vanille. Damit hat sie die Aufgabe erfüllt. Genauso hätte sie die Aufgabe aber auch erfüllt, wenn sie Schokolade genommen hätte. Sie lernt aber, die Wahl von Vanille war richtig. Folglich wird sie in einem weiteren Test schneller, oder sogar sofort Vanille wählen. Unbeabsichtigt hat man der KI dann ein bisschen eigenen Willen antrainiert.«

Mario hatte sich das alles angehört und fand es wirklich sehr interessant. Wenn man jetzt hinzuzog, wie viele Entscheidungen der Lion mittlerweile getroffen hatte, selbstständig, dann konnte es durchaus passiert sein, dass er über die Dauer wirklich auch einen eigenen Willen erlernt hatte. Er hatte Fahrer, die eigentlich immer versuchten möglichst fair zu bleiben. Wenn der Lion das als Grundlage trainiert hatte, war es nicht unlogisch, warum er Katja nicht vernichtend schlagen wollte.

»Wäre das gut, oder eher schlecht?«

»Mein lieber Freund, freier Wille, oder eine Wahl zu haben, ist immer zweischneidig. Eine KI mit eigenem Willen kann Vorteile mit sich bringen. Aber auch Risiken. Von daher sollte man schon dafür sorgen, dass dieser Wille keine uneingeschränkte Entscheidungsgewalt hat.«

»Danke. Du hast mir gerade wirklich sehr geholfen! Ich werde einen Überbrückungsschalter einbauen, damit der Fahrer jeder Zeit die KI übersteuern kann. Danke, mein Freund!«

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