Ein ungeahntes Wochenende (Teil 19)

Wie erwartet lief Rennen um Rennen. Spannend, langweilig, fast schon unfair. Viel Geld wechselte den Besitzer und hier und da wurden auch Tränen verdrückt, weil Wagenpapiere den Besitzer wechselten. Aber, so waren diese Wochenenden eben. Einmal verlor man, einmal gewann der andere. Hier gab es eben kein Unentschieden, einer musste gewinnen.

Nicht ganz so dramatisch war es auf dem Rundkurs. Da konnte man sich wenigstens noch rühmen, dass man zweiter wurde. Wobei sich wieder einmal herausstellte, wenn Maia am Steuer sass, gab es keinen ersten Platz, um den man fahren konnte. Maia belegte diesen souverän und weder ein Viper, noch eine Amy und auch keine Janine konnten daran etwas ändern. Von den anderen Teilnehmern ganz zu schweigen.

Es entwickelte sich aber langsam zum Highlight, die besten Szenen aus Maias Cockpit auf der grossen Leinwand zu zeigen. Eigentlich war es grotesk, diese Szenen zu sehen. Sie schrie, kreischte, schloss die Augen und riss anscheinend unkontrolliert am Lenker herum. Mario zeigte deshalb die Szenen Bild in Bild. Man sah Maia, wie sie in panisches Geschrei ausbrach und man eigentlich vermuten musste, sie könne nur am nächsten Hindernis enden, gleichzeitig sah man aber auch, wie der Garzella in perfekter Linie jedes Hindernis überwand. Unterschiedlicher konnten die Bilder nicht sein. Sie verursachten auch gleichermassen Erstaunen, wie Bewunderung und Gelächter.

Bald jedoch kamen die heiss ersehnten Rennen der Zuschauer. Viper gegen Pascal, Viper gegen Janine, Garzella gegen Lion. Doch auch wenn die Ausgänge sich nicht änderten, also Viper gegen Pascal gewann, Janine gegen Viper und Amy gegen Katja, die Rennen blieben dennoch spannend.

Tatsächlich sah es fast die ganze Strecke so aus, als könne dieses Mal Pascal triumphieren. Sein Buggy blieb fast die ganze Strecke hauchdünn in Führung. Erst auf den letzten Metern gelang es Viper schliesslich doch, die letzten Reserven aus seinem Auto zu mobilisieren und schliesslich doch zu gewinnen. Er erwähnte auch im Anschluss eindrücklich, dass in Zukunft kein Waldemar mehr einen Blick auf das Auto werfen dürfe. Okay, er konnte ja auch nicht wissen, dass Waldemar nur genau das getan hatte. Er hatte einen Blick auf das Auto geworfen.

Bei Janine und Viper sah es dann wieder anders aus. Dennoch wurde es zu einem echten Highlight. Waren die Rennen normalerweise wirklich ein enger Fight, so liess Janine dieses Mal den Lori mit einer ganzen Wagenlänge gewinnen. Natürlich wurde Viper wieder sauer, natürlich versuchte er sich mit Janine zu prügeln und natürlich trat sie ihm in den Hintern. Also praktisch alles beim Alten.

Was von den Zuschauern und auch den Freunden keiner so wirklich mitbekam war, dass Amy dieses Mal dem Garzella nicht die Fairness einräumen wollte und auf den Turbo verzichtete. Nachdem sie bereits einmal so fair war, wollte sie den Garzella dieses Mal auf seinen Platz verweisen. Doch das funktionierte nicht. Aus irgendeinem, zu diesem Zeitpunkt nicht bekannten Grund, wollte der Turbo sich nicht aktivieren lassen. Amy drückte den Knopf und es geschah einfach nichts. Sie drückte erneut, produzierte aber nur das gleiche Resultat. Auch ein weiterer Versuch brachte keine Besserung. Das hatte aber zur Folge, sie achtete nicht auf das Rennen. Das Katja sich mittlerweile sogar etwas in Führung gebracht hatte und im Garzella einem Herzinfarkt immer näher kam, registrierte sie erst da, wo es eigentlich schon zu spät war, um ohne Turbo das Ruder noch herum reissen zu können.

Doch genau da zündete der Turbo plötzlich. Ohne, dass Amy auf den Knopf gedrückt hatte. Es reichte gerade so aus, damit Mario bekannt geben musste, wer nun gewonnen hatte. Mit dem Auge war es kaum zu erkennen.

Während an der Startlinie der Jubel tobte und auch Katja viel Anerkennung von den Zuschauern erntete, sass Mario vor seinen Bildschirmen und kam mit dem nicht klar, was er da zu sehen bekam. Genau genommen hatte der Turbo keine Störung gehabt. Er sah die Aktivierung des Knopfes, dieses Signal wurde auch vom Hauptcomputer erfasst, doch löste der einfach das Signal an den Turbo nicht aus. Dafür war aber kein Grund ersichtlich. Lauf einem Check funktionierte das System einwandfrei.

Umgekehrt das selbe Spiel. Laut den Daten lag im Steuercomputer kein Signal an, welches den Turbo hätte auslösen können. Amy hatte den Finger ja vom Knopf genommen, also erlosch auch das Signal. Dennoch aktivierte sich der Turbo. Er bekam auch ein Signal vom Computer, nur warum?

Die Software war erprobt und hatte sich in unzähligen Situationen tadellos bewährt. Alles lief so gut, dass Mario daran schon ewig keine Anpassungen mehr vorgenommen hatte. Nun war Software aber eine statische Geschichte. Wenn sie funktionierte, dann funktionierte sie. Da löste sich kein Kontakt, oder irgendetwas konnte oxidieren. Bei Software lief es entweder, oder nicht. Durch mehrfaches Benutzen gab es keinen Verschleiss.

Mario blieb ratlos. Nachdem er alle für ihn in Frage kommende Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, wandte er sich an Waldemar. Während er selbst sich weiter um die Rennen kümmerte, schaute sich Waldemar alles ganz genau an. Sogar den Code des Steuercomputers, den Mario nur sehr selten jemand zeigte. Doch auch er kam zu dem selben Schluss. Dieses Verhalten war technisch nicht zu erklären.

Ihm kam da aber so der Gedanke. Wenn man alles was man weiss ausschliesst, dann muss in dem, was noch übrig bleibt, die Wahrheit stecken. Das hiess in dem Fall, irgendetwas musste einerseits Amys Signal blockiert, andererseits selbstständig ein Signal verursacht haben.

Marios Augen wurden immer grösser, seine Kinnlade klappte nach unten und er atmetet schneller. Waldemar verstand das gar nicht. Erst, als Mario etwas ins Spiel brachte, was selbst Waldemar nicht auf dem Schirm hatte. Es gab da etwas, was sowohl Amys Signal unterdrücken, wie auch selbst eines schicken konnte. Die KI!

Panisch gab Mario das Kommando an Waldemar ab und stürmte los. Am Lion standen Rebekka, Amy und Katja und sie unterhielten sich gerade über Jungs. Mario kam, schubste Rebekka unsanft von der Tür weg und setzte sich ins Auto. Natürlich gefiel das Rebekka nicht und sie machte sich gerade auf, ihren Freund zur Rede zu stellen, als sie seine Worte vernahm.

»Lion, hast du Amys Signal für den Turbo unterbrochen?«

Einen Moment geschah nichts, was sehr merkwürdig war. In aller Regel antworte die KI, egal wo Mario sie eingebaut hatte, sofort.

»Das habe ich Mario.«

Mario fing an zu schwitzen. Ihm gefiel gar nicht, wo diese Unterhaltung hinführen konnte.

»Hast du dann auch den Turbo aktiver?«

»Auch das ist korrekt!«

Amy und Rebekka sahen Panik in den Augen ihres Freundes. So hatten sie ihn seit der Insel nicht mehr gesehen, wo sein Leben quasi sekündlich auf der Kippe gestanden hatte.

»Warum hast du das getan?«

»Ich wollte, dass ich ohne den Turbo gewinne. Ich mag Katja und war der Meinung, sie zu demoralisieren wäre nicht nett.«

»Nicht nett? Warum hast du den Turbo dann trotzdem aktiviert?«

»Aufgrund der Tatsache, dass Amy offensichtlich nicht genügend Konzentration auf das Rennen aufbringen konnte und ich anderweitig verloren hätte.«

»Du wolltest also nett zu Katja sein, aber nicht verlieren?«

»Korrekt!«

»Aber warum?«

»Ich habe heute schon ein Rennen verlieren müssen und ich gewinne viel lieber, als dass ich verliere.«

»Und woher willst du wissen, was nett ist und was nicht?«

»Mario. Du selbst hast mir die Möglichkeit gegeben, alles zu beobachten. Ich analysiere jedes Rennen und habe schon oft festgestellt, wenn ein überlegener Gegner seine Leistung nicht voll ausschöpft und seinem Gegner damit eine nur sehr knappe Niederlage beschert, ist es für diesen weit einfach zu akzeptieren.«

Mario sprach nicht weiter. Er stiegt einfach aus und schloss ganz sanft die Tür.

»Was geht denn hier ab Mario? Red schon!«

Mario schaute Rebekka an, dann Amy, dann wieder Rebekka.

»Ich glaube, unser Lion hat einen eigenen Willen entwickelt.«

Amy riss die Augen auf.

»Soll das heissen, er lebt?«

Mario schüttelte den Kopf.

»Nein. Das habe ich nicht gesagt. Aber er scheint einen eigenen Willen zu haben. Er wollte nicht, dass du Katja vernichtest. Deshalb hat er dich den Turbo nicht aktivieren lassen. Er wollte aber auch nicht verlieren. Also hat er genau ausgerechnet, wann er den Turbo einsetzen musste, um wirklich ganz knapp zu gewinnen.«

»Und was heisst das jetzt?«

»Das weiss ich noch nicht Rebekka. Ich werde da noch testen müssen. Vielleicht hat der Lion nun eine echte Persönlichkeit!«

Print Friendly, PDF & Email

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert