Der Wächter

Tiffany verstand gar nichts mehr. Raschniposa hingegen prüfte seine Daten um festzustellen, wie gut der Kontakt zur Megaclite war. Hier stranden wollte er definitiv nicht.

»Wie jetzt? Sie sind ein Mensch von der Erde und hängen hier schon seit Tausenden von Jahren rum?«

»So ist es! In ferner Zukunft wird es einen schrecklichen Krieg in der Milchstrasse geben. Initiiert von Wesen aus Andromeda. Die Menschheit, allen voran das legendäre Raumschiff Columbia, wird jedoch die Oberhand gewinnen und die Angreifer in diese Galaxie zurückdrängen. Hier jedoch wird die Streitmacht der Milchstrasse in einen Hinterhalt gelockt. Genau hier, bei der Spalte. Der grösste Teil der Flotte, inklusive der Columbia, wird in die Spalte gelockt und vollständig zerstört. Daraufhin können die Angreifer aus Andromeda die Milchstrasse erobern.«

Tiffany verstand mal wieder gar nichts.

»Ja was jetzt? Sind sie schon ewig hier, oder aus der Zukunft, oder wie soll ich mir das vorstellen? Mit dem Spalt meinen sie wahrscheinlich das Band?«

»Band, Spalte, wie auch immer man es nennen mag. Es ist der Kontakt zweier Universen. Die Angreifer aus Andromeda kommen aus diesem anderen Universum und stören sich nicht an dem Spalt. Für uns jedoch besteht keine Möglichkeit, diese Region schadlos zu durchqueren. Aber ja. Ich bin aus der Zukunft und schon seit langer Zeit hier!«

»Und wie genau soll das funktionieren? Zeitreise?«

»Korrekt. Die letzten Menschen der Milchstrasse wussten genau, dass der Untergang bevorstehen würde. Es gab nur noch vereinzelte, kleine Gruppen und die konnten sich gegen die Übermacht der Angreifer nicht mehr verteidigen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Menschheit und eigentlich alle Bewohner der Milchstrasse ausgerottet waren. Eines war jedoch klar. Die Milchstrasse hätte diesen Krieg zweifelsohne gewonnen, wäre diese Falle nicht gewesen. Die letzten Wissenschaftler hatten auch berechnet, dass man einen sicheren Korridor durch die Passage hätte etablieren können, wenn man eine bestimmte Abfolge von Schwerefelder hätte erzeugen können, die beim Auftreffen des anderen Universums den Spalt an dieser Stelle zurückgedrängt hätte. Auch gab es genügend Technologien, welche ein solches Vorhaben durchführbar gemacht hätte. Nur eben, der Zeitpunkt, wo alles hätte passieren müssen, lag Jahrtausende in der Vergangenheit.«

»Ach so. Dann sind sie zurück gereist, haben hier die ganzen Objekte in die richtige Position gebracht und alles ist toll. Seien sie mir nicht böse, aber irgendwie glaube ich ihnen das nicht!«

Er lachte.

»Unglaube. Wie lange hatte ich damit keinen Kontakt mehr? So erfrischend! Sagen sie mir, wieso glauben sie es nicht?«

»Na ja, Zeitreisen? Paradoxon und so? Wenn sie in die Vergangenheit gereist sind, hier die Passage erstellt haben und folglich die Flotte nicht vernichtet werden wird, wieso sollten sie dann in die Vergangenheit reisen, hier alles aufbauen, damit die Flotte nicht vernichtet wird?«

Und wieder lachte er herzhaft auf.

»Paradoxon. So lange ist es her! Ja, ich verstehe ihren Zweifel! Aber nein. Ein Paradoxon ist nur ein Konstrukt. Wenn ich zum Beispiel sage, ich lüge immer, ist es ebenfalls ein Paradoxon und hat keine Auswirkungen auf etwas. Die Zeit läuft anders, als sich die Menschheit das immer vorgestellt hat.«

Tiffany verschränkte provozierend die Arme.

»Okay. Behaupten wir mal, ich glaube das jetzt einfach. Wie genau sind sie dann hier her gekommen?«

»Oh, also darüber rede ich sehr gerne! Die Angreifer hatten unser Versteck bereits gefunden und waren auf dem Weg. Wir hatten keine Raumschiffe mehr, um fliehen zu können. Unser Untergang war also besiegelt. Da tauchte ein eigentümlich kleines Raumschiff auf. Es hatte keinen uns bekannten Antrieb und war auch nur mit einem Mann besetzt. Ewald, so hiess er. Er war zu uns gekommen, um die letzten Tage mit Menschen zu verbringen. Da seine Partnerin mittlerweile getötet worden war, sah auch er keinen Grund mehr zum weiterleben. Am gleichen Abend, wir veranstaltet wieder ein Festessen, da ohnehin bald alles vorbei sein würde, sagte einer unserer Leute genervt, dass alles gut werden könnte, wenn wir in die Vergangenheit reisen und diese Passage einrichten könnten. Ewald hörte das. Wie er sagte, sei er mit seinem Schiff problemlos dazu in der Lage, auch durch die Zeit zu reisen. Er hätte auch schon versucht, die Flotte vor der Zerstörung zu bewahren, doch glaubte man ihm nicht. Wir jedoch glaubten ihm. Zu verlieren hatten wir ja nichts mehr. Also ersonnen wir einen Plan. Wir stopften sein kleines Schiff mit allem voll, was wir zum Aufbau der benötigten Technologien brauchen würden. Doch trotz das wir wirklich jeden kleinen Eck seines Schiffes ausnutzten, wir konnten nur grundlegende Dinge wie Energie- und Materialgeneratoren und einige Werkzeuge darin verstauen. Nicht genug, um einfach an geeigneter Stelle alles aufzustellen. Es musste also gebaut werden. Deshalb entschied man, den jüngsten und tüchtigsten Ingenieur mit Ewald in die Vergangenheit zu schicken. Also mich. Für mehr war kein Platz mehr.«

Tiffany schaute zu Raschniposa, um den Stand der Dinge zu erfahren. Der nickte nur.

»Ah ja. Sie sind dann also mit dem Ewald in die Vergangenheit gereist. Lustig, dass sie sich an seinen Namen noch erinnern können.«

»Eine Debatte! Was ein schöner Tag! Ja, ich erinnere mich an seinen Namen. Er hat sich mir so tief in mein Gedächtnis gebrannt, weil er alleine es schliesslich war, der die Milchstrasse und seine Bewohner vor dem Untergang bewahrte.«

»Aha, ich verstehe. Gut, dann sind sie hier angekommen, haben dies hier alles gebaut und dann so viele Objekte eingesammelt, wie sie brauchten?«

»Nun, ein wenig komplizierter war es schon. Aber ja, man könnte es so ausdrücken. Nun halte ich hier alles in Position, bis unsere Flotte kommt.«

»Und dann?«

»Viele Jahrhunderte habe ich mir die gleiche Frage gestellt. Mein ursprünglicher Plan war es, nach Ende meiner Aufgabe aus meinem Reich hier zu treten und den Weg allen irdischen zu gehen. Doch mittlerweile hat sich meine Einstellung geändert. Ja, ich bin alleine. Aber ich bin auch ein Wächter. Derzeit wache ich über die Passage. Doch wache ich auch über alles Leben in diesem Bereich. Alles, was sie hier sehen, lebt nur wegen mit. Von den kleinsten Bakterien bis hin zu den Insekten. Das werde ich aufrecht erhalten. Mein Raum hier, wie auch die Passage.«

»Wie gut, dass sie es ansprechen. Wie können sie eigentlich noch leben?«

»Sterblichkeit, meine liebe Freundin, ist für die Menschheit schon lange kein Thema mehr. Hier war es wieder die legendäre Columbia, welche Kontakt zu einem fernen Volk herstellte und dort den Jungbrunnen in Form einer bestimmten Nahrung entdeckte. Als die Menschheit fortschrittlich genug war, um auf Augenhöhe mit diesem Volk zu sprechen, gab man uns Zugang dazu und seither ist natürliches Ableben nur noch dann gegeben, wenn wir uns dafür entscheiden.«

Das war Tiffany sogar bereit zu glauben. Doch sie wollte den Kerl auf die Probe stellen.

»Sagen sie mal. Haben sie schon einmal etwas von der Megaclite gehört?«

Er machte grosse Augen.

»Die Megaclite! Aber ja! Ein einst verschollenes Raumschiff welches zur Erde zurückkehrte, um über einen bevorstehenden Angriff zu informieren! Ohne die Megaclite wäre die Menschheit nie dazu in der Lage gewesen …«

Er hielt inne, musterte Tiffany ganz genau, um noch grössere Augen zu bekommen. Dann fiel er auf die Knie.

»Ja, sie sind es!«

Tiffany schaute fragend zu Raschniposa. Der zuckte nur mit den Achseln.

»Wer bin ich?«

»Tiffany! Der erste Offizier der Megaclite. Verzeiht mir, dass ich euch nicht erkannt habe!«

»Was soll denn die Nummer jetzt? Stehen sie auf, ich bin doch keine Gottheit!«

»Nein, aber für mich dennoch der Bote der Hoffnung! Ohne die Megaclite wäre die Menschheit in einem einzigen Schlag vernichtet worden. Ohne Hoffnung.«

»Trotzdem! Da werde ich ja rot. Los, stehen sie auf.«

Er erhob sich langsam.

»Okay. Aber da habe ich gleich mal die nächste Frage. Wie genau können wir denn die Menschheit warnen, wenn wir die Passage brauchen, um auf die andere Seite von dem Band zu gelangen?«

Wie Tiffany erkennen konnte, hatte er darauf keine Antwort. Ein Hinweis darauf, dass er da doch viel erfunden hatte!

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