Lion gegen Lipizzaner

»Du, sag mir mal Phillip, du darfst ja auch vögeln wenn du willst, oder?«

»Ja, sicher. Aber mach dir mal keine Hoffnungen. Ich hab mein Rennen in den Knochen stecken.«

Sofort war Claudia traurig. Da wollte sie mal einen Kerl hier erobern und der kam so.

»Warum? Was ist damit?«

»Na ja, ist eine längere Geschichte. Bevor wir nach Neunburg gezogen sind, war ich eher das Zugpferd in unserer Beziehung. Ich hab mehr verdient, hab alles geregelt und so. Seit Amy aber Rebekka kennengelernt hat, bin ich immer mehr zurückgefallen. Ich hab zwar meine Autopflege und verdiene mein Geld, aber Amy hat mich so weit hinter sich gelassen. Ich will wenigstens in einer Sache die Nase vorne haben, die Amy wirklich was bedeutet. An ihren finanziellen Erfolg werde ich mit der Autopflege nie anknüpfen können. Auch beim Kämpfen ist sie mir unglaublich weit voraus. Sexuell, na da könnte ich ihr ohnehin nie das Wasser reichen. Es bleiben also nur die Rennen. Zumindest da will ich die Nase vorne haben.«

»Wow. Hätte ja nicht gedacht, dass du so unzufrieden bist.«

»Bitte was? Ich bin kein bisschen unzufrieden! Wenn ich mir mein Leben backen könnte, es wäre genau so. Aber eben, ich will sie in einer Sache übertreffen.«

»Versteh. Denkst du, du bekommst das hin? Sie hat Mario auf ihrer Seite.«

»Ich weiss es nicht. Vielleicht. Sehe ich ja bald.«

»Ach, ich mach dir ein Angebot. Solltest du heute verlieren, suchen wir uns nachher ein freies Bett und ich tröste dich.«

Phillip grinste.

»Abgemacht!«

»Aber nicht absichtlich verlieren!«

»Wo denkst du hin? Derrick würde mich erwürgen!«

Nach ihrer Rückkehr dauerte es nicht mehr lange, bis Phillip seine Hoffnungen auf die Probe stellen konnte. Lion und Lipizzaner wurden aufgerufen. Auch dieses Rennen schien immer mehr zu einem erwarteten Highlight zu werden. Phillip und Derrick waren an diesem Abend schon einige Male gefahren, doch nie war die Stimmung so, wie nun gegen den Lion.

Zur Überraschung war es Derrick, der sich als Starter hergab. Seine Show war keines Wegs erotisch, da er aber Rebekka zu imitieren versuchte, war sie grandios lustig. Komödie vom Feinsten, könnte man sagen. Auch Amy sass im Lion und musste oftmals herzhaft lachen.

»Lion? Alles in Ordnung?«

»Ja Amy! Die Start-Parameter sind eingestellt. Der Turbo geht in den Bereitschaftsmodus, sobald du die Drehzahl erhöhst. Einspritzsystem ist einsatzbereit.«

»Sehr gut. Dann lass uns schauen, dass wir nicht verlieren.«

»Ich berechne lediglich eine Chance von 40%, dass wir nicht gewinnen.«

»Na, ich weiss nicht. Phillip hat da etwas im Blick.«

Auf der anderen Seite sass Phillip. Er konnte sich zwar nicht mit seinem Auto unterhalten und musste ebenfalls immer wieder über seinen Freund lachen, aber dennoch war er äusserst angespannt. Von Claudia abgesehen wusste niemand, warum ihm diese Rennen so wichtig waren.

Derrick hob die Arme, indem auch er sich erst einmal an die Brüste fasste, die bei seiner hageren Gestalt jedoch nicht vorhanden waren. Es sah einfach nur lustig aus, doch Amy und Phillip waren sofort voll konzentriert. Beide Autos drehten die Motoren hoch und warteten auf den Start.

Als der kam, war Phillip erschrocken. Der Lion schoss sofort davon und liess seinen Lipizzaner hinter sich. Was hatten die nur wieder an dem Auto gemacht? Beim letzten Rennen sah das weit nicht so dramatisch aus. Aber, er hatte ja noch seine Geheimwaffe, die musste nur noch aufladen.

Doch lange hielt der Vorsprung nicht. Phillip konnte sich herankämpfen und irgendwie schien sein Auto dann doch mehr Power zu haben. Wollte Amy ihm etwa eine Chance lassen?

»Lion, was ist los? Wo ist die Power?«

»Ich kompensiere mit der Einspritzung!«

Hätte Phillip das gehört, wäre ihm wohler gewesen. In seinem Kopf drückte einfach die Frage, wollte Amy ihm eine Chance lassen, oder war der Lipizzaner wirklich stärker? Er wollte gewinnen, aber unter realen Bedingungen und nicht, weil seine Freundin Mitleid mit ihm hatte.

Schon in der Hälfte der Strecke lagen die Autos Kopf an Kopf. Phillip ging das irgendwie zu leicht und er wusste auch nicht, ob er den Knopf drücken sollte. Die Anzeige leuchtete auf, die Extrapower war verfügbar. Aber, wenn Amy ihn nur ködern wollte, konnte er damit seinen Trumpf vorzeitig verheizen.

»Lion, mach irgendwas! Das da reicht nicht!«

Doch da kam nicht mehr. Amy war wirklich schockiert. Bei den letzten Rennen hatte das deutlich besser funktioniert. Was war nur los?

Der Lipizzaner gewann Vorsprung. Amy sah es und war schockiert. Normalerweise wäre das der Moment gewesen, wo sie den Turbo eingesetzt hätte. Aber, wie würde der sich jetzt zeigen? Wenn die mangelnde Leistung auf ein falsch eingestelltes Gemisch zurückzuführen war, würde sie mit mehr Luft in den Zylindern die Lage noch verschlimmern? Phillip hingegen war sich ebenfalls sehr unsicher. War das nur eine Finte von Amy? Wollte sie herausfinden, was er am Lipizzaner gemacht hatte und dann mit der vollen Leistung des Lion und dem Turbo kontern?

Das war es natürlich nicht. Der Lipizzaner vergrösserte seinen Vorsprung und Amy hatte nur noch diese letzte Chance. Sie musste den Turbo aktivieren, da führte kein Weg dran vorbei. Verunsichert drückte sie schliesslich den Knopf und ihr viel ein Stein vom Herzen. Da war die ersehnte Power. Der Lion zog mächtig an und presste Amy in den Sitz. Sofort schmolz der Vorsprung von Phillip dahin und Amy übernahm die Führung.

Nun war Phillip schockiert. Amy hatte ihn wohl tatsächlich nur auf die Probe gestellt. Nun war die Frage, sollte er schon den Knopf drücken? Was blieb ihm denn anderes übrig? Amy zog davon und wenn er nicht schnell handelte, war der Rest der Strecke nicht mehr ausreichend. Mit Herzklopfen drückte er den Knopf.

Amy registrierte im Augenwinkel, dass ihr Freund die Geschwindigkeit angleichen konnte. Nein, er schien sogar etwas schneller zu sein. Der Lipizzaner schob sich wieder am Lion vorbei, obwohl Amy den Turbo voll gedrückt hatte und der auch eindeutig lief. Was war das nur für ein Mist?

Phillip schien schon in Führung gegangen zu sein und die Ziellinie war ebenfalls schon zum greifen nah. Wenn nicht ein Wunder geschehen würde, wäre Phillip dieses Mal der Sieger. Amy war schockiert. Auch wenn sie gegen ihren Freund fuhr, verlieren wollte sie dennoch nicht.

Doch das Wunder trat ein. Obwohl Amy nichts gemacht hatte, schien der Lion auf einmal doch noch etwas mehr Power zu haben. Phillip fiel wieder etwas zurück und als sie die Linie schliesslich erreichten, hatte der Lion eindeutig die Nase vorne.

Ach, war die Freude bei Amy so gross. Schon lange hatte sie bei einem Sieg nicht mehr solche Gefühle in sich gehabt. Allerdings musste sie sich auch zugestehen, schon lange war ein Rennen nicht mehr so verfahren gewesen, wie dieses.

Während am Start die Menge jubelte und Phillip deprimiert zu sein schien, war die Lage am Kommandostand ebenfalls anders als sonst.

»Mein lieber Freund Mario. Mir war nicht bewusst, dass du von hier aus die Werte des Lion einstellen kannst.«

»Doch klar kann ich. Hab ich aber schon ewig nicht mehr gemacht. Eben, weil ich keine wirkliche Echtzeitübertragung hatte. Mit deiner Kompression ist das aber alles wieder möglich. Ein Glück für Amy!«

»So würde auch ich es ausdrücken. Wie mir scheint, hat der Lion einiges seiner erlernten Werte vergessen.«

»Nee du. Vergessen hat der nichts. Nur falsch gelernt. Ich nehme an, da die Leistung am Anfang höher war als erwartet, hat der Lion es als Hinweis ausgelegt, der Turbo sei aktiv. Er hat das Gemisch viel zu fett eingestellt. Sieht man ja auch hier, nachdem Amy wirklich den Knopf gedrückt hat. Da waren die Werte auf einmal fast perfekt, aber nachgeregelt hat er nichts.«

»Ich verstehe. Es ist wohl ein Nebenprodukt des Lernprozesses, dass auch ungünstige Werte erlernt werden können.«

»Ja. Oder sagen wir, Zustände falsch gedeutet werden.«

»Und, wenn du mir die Frage erlaubst, wie hast du den Leistungsschub initiiert?«

»Hab dem Turbo einfach etwas mehr Power gegeben. Der operiert ja nur mit rund 85% von dem, was er eigentlich kann. Aus Sicherheitsgründen. Das hab ich einfach aufgehoben.«

»Ich bin beeindruckt, mein Freund. Du hast innerhalb weniger Sekunden alle Werte erfasst und wusstest eine Lösung!«

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